Das Risiko der Sicherheit

Wie kann das sein?

Immer wieder erlebe ich Situationen, die für das Unternehmen oder die Abteilung als kritisch erachtet werden. Kritisch, weil die Versorgung eines Kunden gefährdet ist. Die Lösung erscheint einfach, ich baue Sicherheiten ein und „Tschack“ ist das Problem gelöst. Aber auch hier gilt, dass jede Aktion eine Reaktion hervorruft. Im großen Wirrwarr von Unternehmenszahlen sind diese aber oftmals nicht leicht zu finden oder gar so weit entfernt von der eigenen Position, dass man nicht in Lage ist diese zu sehen.

Beim Anlegen von Geld bedeutet Sicherheit zumeist verminderte Rendite. Bei der Produktion gibt es noch ein paar mehr Möglichkeiten.

Welche Sicherheiten gibt es?

Nun, im Bereich der Produktion gibt es zwei Kernsicherheiten, um die Kundenversorgung zu gewährleisten. Als erstes kommt hier der Bestand und als zweites die Zeit. Natürlich kann man auch mit Überkapazitäten Sicherheit schaffen, aber da Kapazität ein riesiges Themengebiet ist, wird es dazu einen eigenen Beitrag geben.

Der Bestand

Beginnen wir mit dem Bestand. Die einfachste Alternative ist der Lagerbestand. Diesen kann man z.B. als einen festen Sicherheitsbestand (eine definierte Menge) festlegen. Im Grunde gibt es diesen fast überall, auch wenn man ihn nicht so benennen mag. Etwas anders ist hier JIT und JIS Produktion, da hier die Abrufe mitunter nur Stunden vor dem Bedarf zu den produzierenden oder montierenden Unternehmen gelangen. Ganz ohne kommen wir in der Kunden-Lieferantenbeziehung nicht aus. Auch die am besten harmonierenden Systeme benötigen etwas Puffer. Hier gibt es wieder erhebliche Unterschiede zwischen Fließ- und Werkstattfertigung. Bei der Fließfertigung sind die Bestände gut aufeinander abgestimmt (zumindest sollte es so sein). Umso mehr Produkte auf dieselben Maschinen zugreifen müssen, umso größer werden dann auch die Bestände. Man kann also sagen, dass sich im Allgemeinen die Bestände gleich der Komplexität bewegen. Bei der Werkstattfertigung ist ein Pufferbestand an jedem Arbeitsplatz schon fast normal. Hier gilt der gleiche Zusammenhang bezüglich der Komplexität wie bei der Fließfertigung.

Was ist das Risiko des Sicherheitsbestandes? Zum einen ist Bestand immer gebundenes Kapital. Auch wenn viele Mitarbeiter diese Kosten gar nicht sehen, so ist das Kapital doch sehr entscheidend für jedes Unternehmen. Bei dem Kapital soll es aber nicht bleiben. Es steigt auch das Risiko der Überproduktion. Je mehr Sicherheitsbestand genutzt wird, umso weiter entfernt man sich vom Kundenabruf. Somit steigt das Risiko, dass Material nicht mehr benötigt wird. Ebenso ist man im Besitz von zu vielen Altlasten sollte es qualitative Mängel oder konstruktive Änderungen geben. Als letztes Risiko verbraucht der Sicherheitsbestand Unmengen an Fläche und bei steigender Produktpalette wird dies irgendwann zu einer untragbaren Last. Nicht zu vergessen sind die benötigten Ressourcen zur Herstellung des Bestandes. Als letztes kommen hier noch die Risiken der Beschädigung durch mehrfaches Handling und der Vertauschung durch Zwischenlagerung. Wem dies noch nicht genug ist der sollte sich dann noch die Entwicklung der Sicherheitsbestandshöhe betrachten. Denn diese neigt dazu, kontinuierlich zu steigen mit jedem Mal, wenn der sicher geglaubte Artikel doch nicht lieferbar ist, aus welchem Grund auch immer.

Gleiches gilt für Zwischenbestände. Diese legt man zwischen Arbeitsprozessen an, um die Versorgung zu gewährleisten. Die Risiken sind dieselben wie beim Sicherheitsbestand des Fertigproduktes.

Der zeitliche Puffer.

Der zeitliche Puffer bildet den Bedarf über einen längeren Zeitraum ab. Das heißt, der Kunde bestellt etwas zum Tag X und du profitierst zu Tag x – Y Arbeitstage [AT]. Und somit hast du das Produkt Y AT vorher fertig. Bei einer Woche also ein zeitlicher Puffer von 5 AT. Nun lässt sich dies beliebig variieren. Aber auch während der Produktion hat man mehrere zeitliche Puffer. Zum Beispiel als Übergang von einem Arbeitsplatz zum nächsten. Bei komplexen Teilen kommt hier eine nicht unerhebliche Zeit zusammen. Als nächstes kommen noch Pufferzeiten bei Transporten dazu. Dann noch Eröffnungs- und Freigabehorizonte. Bei vielen Unterbaustufen erhält man hier sehr schnell mehrere Tage bis Wochen. Die Läger sind prall gefüllt und das Material wird unter Umständen nicht mehr gefunden, die Kosten steigen ins unermessliche. Die Negativen Punkte vom Bestand sind hier identisch.

Das Größte aller Übel

In besonders harten Fällen gibt es mehrere Mitwirkende, welche alle aus ihrer eigenen Sicht auf Nummer sicher gehen wollen. Es kommt zu einer Kombination aus zeitlichem und fixem Puffer, welcher ggf. noch ohne das Wissen der mitwirkenden Mitarbeiter festgelegt wurde.

  • vergrößerter Eröffnungshorizont
  • vergrößerter Freigabehorizont
  • Werkstattfertigung mit FIFO strecken den Puffer
  • Kanban orientierter Fertigteilepuffer nach jedem Prozessschritt
  • eine hohe Bedarfsvorlaufzeit
  • Sicherheitsbestand bei End- und Unterbaustufe
  • erhöhte Übergangszeiten

Haben wir all diese Punkte beisammen, sind wir gefühlt sicher und verbrennen Unmengen an Geld. Die Durchlaufzeiten sind so lang und die Puffer vor den Arbeitsplätzen so groß, dass es zu künstlichen Engpässen kommt. Dadurch geraten immer mehr Teile in Rückstand und eventuell reicht der Puffer nicht mehr aus. Dann hilft für die meisten nur eins, den Puffer erhöhen -FALSCH!

Raus aus der Pufferspirale! – Die Ideale Welt

Auch wenn dies nicht immer möglich ist, so ist man doch am besten beraten sich so nah wie möglich an einer Fließfertigung zu orientieren. Also runter mit den Pufferzeiten. Reduziert die Übergangszeiten, minimiert oder entfernt die Zwischenpufferbestände, entfernt den Großteil der Sicherheitsbestände (Ausnahmen mache ich hier nur, wenn ich mit unsicheren Lieferanten zusammenarbeiten muss), reduziert den Bedarfsvorlauf! Ebenso die Eröffnungshorizonte (warum sollte ein Auftrag nur eröffnet sein aber nicht freigegeben werden?). Bei volatilen Einlastungen kann man den Freigabehorizont etwas höher lassen, um nicht in Stillstände zu geraten. Das Material muss fließen und nicht stehen. Auch die Losgrößen sind ebenfalls zu überprüfen. Reduziert die Durchlaufzeit auf ein Minimum, um möglichst nahe an den Kundenabrufen zu sein.

An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass Preise in sehr vielen Branchen über die Losgrößen erstellt werden und die Rüstzeit bezogen auf das Endprodukt bei größeren Losen deutlich geringer wird. Dadurch sinken die Herstellungskosten und in einem hart umkämpften Markt ist dies zwingend erforderlich, um Kunden zu gewinnen und zu halten. Dies ist vollkommen richtig und die Formel von Kurt Andler hat hier sehr wohl ihre Berechtigung. In meiner Herangehensweise geht es jedoch um eine komplexe Fertigung mit sehr vielen verschiedenen Endprodukten, starken Einschränkungen bezogen auf die verfügbaren Flächen und hoher Variabilität in den abgerufenen Mengen. Dadurch ist die Herangehensweise eine andere. Jedes produzierende Unternehmen hat seine eigenen Restriktionen und muss daher individuell betrachtet werden.

Der Mühselige Weg! – Die Reale Welt

Es ist mir vollkommen klar, dass die Umsetzung nicht einfach ist und mitunter sehr lang dauert. Auch müsst ihr euch im Klaren sein, dass ihr nicht auf alles Einfluss nehmen könnt. Dadurch kann es passieren, dass ihr einige Punkte gar nicht oder nur sehr langsam anpassen könnt. Das ist auch nicht schlimm. Eine der Grundvoraussetzung für Veränderung sind stabile Prozesse. Egal an welcher Stellschraube ihr dreht, bei einem instabilen Prozess gibt es da nichts zu holen. Wenn es zum Beispiel keine erkennbaren Schwankungen in den Abrufen gibt, so ist es nicht möglich vernünftige Lose festzulegen und den minimalen erforderlichen Puffer festzulegen. Ganz im Gegenteil, sind die Schwankungen groß und ihr seht diese erst so kurzfristig, dass die Fertigungszeit größer als der Abrufzeitraum ist, so ist ein ausreichend großer Puffer erforderlich. Grundsätzlich steht und fällt sehr viel mit der Durchlaufzeit. Daher ist der erste Schritt immer à Schaffung der Prozessstabilität. Wie überall steht auch euer Gebäude auf einem stabilen Fundament.

Ist das Fundament geschafft und ihr nähert euch der Idealen Welt, geht erst die richtige Arbeit los für die Fertigungssteurer. Jetzt sind die Steuerung der Kapazitäten und das Managen von Engpässen neben der Terminnachverfolgung Kern der Tätigkeit.

Viele Grüße,

Euer Fertigungssteuerer

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